Stephan Mann

Friedrich Wilhelm Meyer

Die Zeichnungen
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Selbstbildnisse

Während einer Bayernwanderung im Jahr 1947 gab Friedrich Wilhelm Meyer seine landschaftlichen Eindrücke in einem kleinen Zeichenblock wieder. Unter diesen zahlreichen Studien und Skizzen findet sich unter dem 3.VII.47 ein Selbstportrait des Künstlers (Kat.Nr. I.3), das zu den eindrucksvollsten Zeugnissen von Meyers Bildnismalerei zählt.

Mit schnellen, aber sicheren Federstrichen stellt sich der Künstler mit einem schräg nach links aus dem Bild gewendeten Kopf dar. Die Darstellung korrespondiert unmittelbar mit dem 1940 in Öl gemalten Selbstbildnis. Ungeachtet der Tatsache, daß es sich bei dem Ölbild um eine abgeschlossene Komposition handelt, während die Zeichnung eher als eine spontan entstandene Skizze zu verstehen ist, markieren die beiden Bildnisse zwei Lebensabschnitte des Künstlers. Die beiden Arbeiten liegen zeitlich sieben Jahre auseinander. Das Ölbild entstand in einer für Meyer tragischen Zeit. Die nationalsozialistische Herrschaft belegte ihn mit dem Berufsverbot. Damit war ihm als freier Künstler die Lebensgrundlage entzogen.

Das Bildnis wird von der zögernd emporgehaltenen Hand und den ängstlich blickenden Augen des Dargestellten geprägt. Die Darstellung als aktiver Maler, inmitten seines Ateliers dessen Blick durch das geöffnete Fenster auf eine grüne Landschaft geht, muß deshalb als Ausdruck eines inneren Widerstandes, als ein Auflehnen gegen äußeren Druck bewertet werden.

Man fühlt sich an Max Beckmann erinnert, der sich 1941 in dem Bild "Selbstbildnis mit grauem Schlafrock" ebenfalls als Künstler, in diesem Fall als Bildhauer darstellte.

In beiden Werken blicken die Künstler nicht ihr eigentliches, im Entstehen befindliches Werk an, sondern sie starren aus dem Bild in einen hinter dem Betrachter liegenden, Undefinierten Raum hinein. Während Beckmann Deutschland 1933 verließ, zieht sich Meyer mit seiner Frau in den Jahren zwischen 1940 und 1945 in den Schwarzwald zurück. Die Gesichtszüge, mit denen sich Meyer auf dem Gemälde darstellt, der Mond, der am Himmel aufgegangen ist, die beängstigende Enge des Raumes, all diese formalen Elemente lassen das Bild zu einem Spiegel der inneren Verfassung des Künstlers werden, der seine beiden Kinder ein Jahr zuvor verloren hatte.

Das Bildnis von 1947 (Kat.Nr.l,3) zeigt den Künstler in ungemein gesteigerter Präsenz; seine Gesichtszüge sind gealtert, sein Auftreten ist sicherer, wenn auch nicht weniger nachdenklich geworden. Dem unnahbaren Selbstbildnis von 1940 wird mit dieser Zeichnung ein menschlicheres Portrait zur Seite gestellt.

Während die Zeichnung aus dem Skizzenblock von 1947 das Werk eines ausgebildeten Malers und Zeichners ist, zeigen die beiden Selbstbildnisse von 1929 (Kat.Nr. 1,1 +2) die suchende Hand des Schülers, der 1928 in der Städelschule in Frankfurt am Main in die Klasse von Max Beckmann aufgenommen wird.

Das Motiv des Zigarette rauchenden Künstlers im "Selbstbildnis mit Zigarette" (Kat.Nr. 1,1) läßt sehr unmittelbar an den Lehrer denken, der in zahlreichen eindrucksvollen Bildnissen ebenfalls dieses Motiv verarbeitete.

Auch wenn Meyer bereits nach einem Jahr die Beckmann-Klasse verließ, um, wie er sagte, nicht zu stark in den Sog des überragenden Lehrers zu gelangen, so liegen dennoch in dieser Beziehung zahlreiche Bildmotive Meyers begründet. Deutlich wird dies in den Gemälden, in denen Meyer die beiden Genres Selbstbildnis und Vanitasmotiv zusammenführt.

Die Ölgemälde "Masken mit Selbstbildnis" von 1935 oder auch das "Stilleben mit Selbstbildnis" von 1949 können stellvertretend genannt werden. Deutet auch schon die Zigarette in der bereits vorgestellten Zeichnung diese Verknüpfung mit dem Vanitasmotiv an, so führt Meyer in den 60er Jahren dieses Thema erneut in eindringlicher Weise aus. Wenige Jahre vor seinem Tod betitelt Meyer die Darstellung eines Totenkopfes nicht nur mit der Bezeichnung "Der Höhnische Maler", sondern auch als Selbstbildnis. (Kat.Nr. I, 5). Man fühlt sich unmittelbar an die zahlreichen Künstlerselbstbildnisse mit Totenkopf oder Skelett erinnert, wie etwa an das "Selbstbildnis mit Tod" von Arnold Böcklin oder das "Selbstbildnis mit Skelett" von Lovis Corinth. Doch während bei Böcklin oder Corinth das Skelett als quasi zweite Persönlichkeit den Künstler an seine Vergänglichkeit erinnert, bezeichnet Meyer unmittelbar den Totenschädel als ein Bildnis seiner selbst.

Der kahle Schädel blickt den Betrachter direkt an. Die Mund-, bzw. Gebißpartie löst sich weit von der naturalistischen Vorgabe. Vor den Augenhöhlen sitzt eine Brille, deren rechtes Glas verdunkelt ist. Aber auch durch das zweite Glas wird kein Auge sichtbar. Nur ein undeutliches Zeichen steht an seiner statt.

Diese vorgestellten Arbeiten zeigen deutlich, daß Kunst für Friedrich Wilhelm Meyer niemals nur eine formale Auseinandersetzung bedeutete, sondern immer auch die Möglichkeit beinhaltete, die eigene Existenz reflektierend zu gestalten. Für Meyer war die Malerei eine innere Notwendigkeit, was er selbst wie folgt ausdrückte:

"Ich male nicht weil ich will - sondern weil ich gestalten muß, was ich weiß."

Auch das Bildnis "Alter Mann" (Kat. Nr. I, 4) von 1950, das sicherlich als Selbstbildnis zu sehen ist, zeigt neben Meyers typischer Formensprache der fünfziger Jahre, den Versuch einer psychologischen Erfassung seiner eigenen Existenz. Mit suggestiver Kraft blickt der Künstler auf den Betrachter und deutet gleichzeitig mit seiner Hand auf eine Realität außerhalb des Bildes. Mit der kleinen Zeichnung "Prost Neujahr 1968" (Kat. Nr. l,6) beginnt Meyer das neue Jahr, das zu seinem Todesjahr werden sollte. Mit dem unruhigen Zeichenstift der letzten Schaffensjahre schildert der Künstler sich als Reiter, dessen Unsicherheit und Zögern existenzielle Bedeutung zukommt.

Auch wenn sich Meyer nicht einreihen läßt in die großen Bildnismaler, wie etwa sein Lehrer Max Beckmann, so lassen die wenigen überlieferten Selbstbildnisse dennoch einen ähnlich existenziel-len Anspruch erkennen.(...)