Rede zum Rudi-Seitz-Kunstpreis 2007

Eva Köstner beobachtet. Sie beobachtet das Leben, die Realität um sie herum. Es ist die Welt, wie sie sich der Frankfurter Künstlerin in all ihren Facetten tagtäglich zeigt, ungeschminkt, ehrlich, hässlich und schön. Es sind dabei immer wieder die unbeachteten Ecken der Großstadt, die kahlen Fassaden und mit Graffiti überzogenen Wände, alles Beiläufige und Unbeachtete, aber auch das auffällige Miteinander der Menschen. Immer wieder entdeckt sie in dieser Stadt Räume, in denen sich die Kreativität von Menschen entfaltet. Fasziniert ist sie vom Gedanken, dass all diese Dinge für den Verlauf der Zeit stehen. Dazu gehören auch die alten, Iängst veralteten Reklameschilder, die noch heute auf Firmen und Produkte verweisen, die längst nicht mehr existieren. Hier, inmitten des städtischen Treibens, scheint die Zeit stehen geblieben, spätestens bis auch hier der Baggerführer Hand anlegt. Eva Köstner beobachtet leise und sensibel, lässt sich Zeit, die Widersprüchlichkeit des Lebens aufzudecken.

Für Eva Köstner ist die Beobachtung des Lebens und unserer Alltagskultur der eigentliche Nährboden, aus dem heraus sie Ideen, Visionen und Utopien entwickelt. Neben der intellektuellen Verarbeitung des Gedachten steht die kreative Verarbeitung. Die Preisträgerin des diesjährigen Rudi-Seitz-Kunstpreises sortiert all diese Eindrücke und entwickelt sie in ihrem Atelier zu großformatigen Zeichnungen, zu Filmen und Performances. In ihnen entwickelt sie ldeen für Utopien über das Miteinander der Menschen und deren Umwelt und hinterfragt und reflektiert die Welt für uns. Schlank gewachsene Frauen nehmen dabei, nicht ohne Ironie, die Rolle des Helden ein. Untereinander vernetzt, tragen sie Kappen bis über beide Ohren und weisen sich so als die Künder einer neuen Botschaft aus.

Die Zeichnungen, aber auch die Performances von Eva Köstner sind dabei wie Fenster, durch die wir die ldeen sehen und auf ihre Sinnhaftigkeit befragen. Ein solcher künstlerischer Ansatz wird heute mit dem Rudi-Seitz-Kunstpreis gewürdigt, schlägt spielend die Brücke zu den ldeen jener, die mit ihrem Namen für diesen Frankfurter Kunstpreis stehen: Max Beckmann, Friedrich Wilhelm Meyer und Rudi Seitz. In jedem dieser Menschen begegnet uns der Wunsch und das Ideal, dass die Kunst in der Lage ist, Visionen für die Zukunft bereit zu stellen, in dem die eigene Existenz kritisch reflektiert und hinterfragt wird. Die Hoffnung auf das Potential der schöpferischen Kraft, wie wir sie auch bei Eva Köstner finden, wird von Friedrich Wilhelm Meyer explizit in Anlehnung an seinen Lehrer Max Beck m ann formuliert. Für Rudi Seitz war es die Erfüllung seines Lebens, Künstlerinnen und Künstlern jene Unterstützung zuteilwerden zu lassen, un d sich ihrem Lebensziel ganz hingeben zu können.

Zurück im Atelier im Frankfurter Bahnhofsviertel, die fein sortierten Farbstifte auf dem Arbeitstisch betrachtend, erzählt Eva Köstner von ihrem jüngsten Projekt, von ihrer Strickliesel, jenem alten Spielzeug, mit dem Generationen von Kindern versucht wurde, die Technik des Strickens beizubringen. Für die Künstlerin wird dieses Spielzeug in Form einer hölzernen Puppe, zum sichtbaren Instrument ambivalenter Kindererziehung. Es beinhaltet die Möglichkeit des Erlernens einer kreativen Fähigkeit ebenso wie das stupide Ruhigstellen des Kindes. Wieder einmal entwickelt die Künstlerin aus der Beobachtung des Alltags heraus Fragen an uns und die Gesellschaft und macht sie zum Ausgangspunkt ihrer kreativen Entfaltung.

Stephan Mann