Stephan Mann

Friedrich Wilhelm Meyer

Der Glaube an die Notwendigkeit des künstlerischen Schaffens
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"Künstler und Wissenschaftler stoßen in die Zukunft vor mit dem Wissen um die Gegenwart, also kritisch und schöpferisch, auf den Schultern uralter Weisheiten stehend, nach neuen Erkenntnissen greifend - und zwar lediglich um des ewigen Zwanges der Menschheit willen, in unbekannte Räume vorstoßen zu müssen. Neue Räume sind der Reichtum von dem wir leben."

Dieses Zitat ist entnommen aus einem längeren Text Friedrich Wilhelm Meyers, den er mit "Das Problem der ,Modernen' in der jeweiligen Gegenwart" überschrieben hat. Friedrich Wilhelm Meyer setzt sich in diesem, zu seinen Lebzeiten nicht publizierten Text mit der Frage auseinander, auf welche Weise sich die Stellung des Künstlers im Angesicht und der Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft verändert und wie sich für ihn selbst die Aufgabe und persönliche Identifikation des Künstlers definiert.

Auch ohne einen konkreten Hinweis auf den Ort und vor allem die Zeit, zu der diese Zeilen geschrieben wurden, gibt uns das Manuskript dennoch einen tiefen Einblick in das Denken des Künstlers. Sein malerisches Werk, ebenso wie sein persönliches Schicksal wird auf diese Weise eindrucksvoll und erhellend begleitet.

Lassen wir Meyer zunächst noch einmal in einigen Auszügen zu Wort kommen:
"Die Stellung des Künstlers in der Gemeinschaft ist eine besondere, gerade so wie die des freien Forschers. Beide haben nicht die Aufgabe, gewünschte Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Aufgabenstellung ist Angelegenheit der Kunsthandwerker und Techniker, die geistig von den ersteren abhängig sind, also sekundärer Natur - sich aber oft anmaßen als diejenigen aufzutreten, von denen sie ihre Existenz erst ableiten.

... Die Opferbereitschaft und der Verzicht auf eigene materielle und existenzielle Sicherheit der Suchenden waren es, die die Menschheit voranbrachten und ihr die Sicherheit der weiteren Existenz verschafften. Diese Bereitschaft von "moderner" Kunst und Wissenschaft ist aber kein Bereitsein zum Zerbrechen der bürgerlichen Ruhe und Wohlanständigkeit, ist nicht revolutionär und Ungläubigkeit, sondern die tiefste Gläubigkeit der Zu-frie-den-Hoffenden an die Gnade eines großen Geistes, der die Gefahren des Beharrens für die Menschen durch d i e Menschen beseitigen läßt, die er mit Mut und eigenem Schöpferischen ausgestattet hat - den einen mehr, den anderen weniger - damit das Sinn erhält was er für die menschlichen Belange geschaffen hat.

Deshalb sollte der, der sich und seine Nachkommen sicher im Sein einzurichten wünscht, der Bürger einer menschlichen Gemeinschaft also, von dem Mann der politischen Spitze bis hinunter zum einfachsten Arbeiter, den Hohn und den Spott lassen gegenüber einem Bemühen, das seine geistgemäße Weiterexistenz erst garantiert und Ehrfurcht haben vor den Suchenden und Opferbereiten - ihre Stellung in der Gesellschaft sichern, anstatt sie zu untergraben, auch wenn er noch nicht begreift und selbst, wenn zeitweilig ein Umweg vorliegt. Nichts geht geradeaus im Kraftfeld des menschlichen Suchens, überall finden Beugungen statt, aber alle Kurven, die der Weg bringt, sind zugleich auch Erkenntnisse in dem noch Unbekannten und führen zu Korrektur und Sicherung."

Friedrich Wilhelm Meyer reflektiert in diesem Manuskript die Stellung des Künstlers und damit seine eigene Existenz innerhalb der sich zunehmend wandelnden "modernen" Gesellschaft zu seiner Zeit. Künstler und Wissenschaftler sind, so Meyer die Garanten für eine "geistgemäße Weiterexistenz" dieser Gesellschaft. Dies bedeute für den "Schaffenden" immer auch "Opferbereitschaft" und "Verzicht" und ist meist verbunden mit existenzieller Not, die Meyer am eigenen Leib verspüren sollte.

Getragen aber wird der Text von dem Bewußtsein, daß der Künstler ebenso wie der Wissenschaftler zu jenen gehört, die aufgrund ihres Talents und der "Gnade eines großen Geistes" der Gesellschaft erst jenen Sinn zu geben vermag, die ihre Existenz ermöglicht und für die Zukunft sichert. Der Text schenkt uns, wie bereits gesagt, einen interessanten Einblick in das Denken des Künstlers. Darüber hinaus aber spiegelt er in seiner charakteristischen Sprache die Ideen- und Gedankenwelt seiner Zeit.

Einen starken prägenden Impuls empfing Meyer dabei von den Künstlern und Lehrern an der "Frankfurter Kunstschule", an die er sich zum Semester 1 925/26 bewarb. Der Leiter der Schule, der ehemalige Mitarbeiter von Georg Swarzenski am Stadel, Fritz Wiehert, formte die Schule zu einem künstlerischen wie geistigen Zentrum. Es gelang ihm einen "integrierten Gestaltungsbegriff"3 und "Funktionszusammenhang aller, der angewandten wie der freien Künste" durchzusetzen und sich damit den Idealen und Zielen des Bauhauses in Weimar und Dessau geistig anzuschließen. Die Vorstellung einer "Zusammenarbeit mit der Industrie, besonders in den Bereichen Architektur und Innenarchitektur, Buchgestaltung und Typographie, Textilkunst und Mode" und vor allem "eine enge Bindung an das Hochbauamt der Stadt" wurde gesucht und angestrebt.

1925 berief Wiehert Max Beckmann - der sich bereits seit 1915 in der Stadt aufhielt- an die Schule. Mit ihm kamen Richard Scheibe und 1928 Willi Baumeister. Ein neues, in die Zukunft weisendes Formdenken, der Glaube an die Notwendigkeit künstlerischen Schaffens und eine Gemeinschaft aller Künste und Künstler im Dienste der Gesellschaft bestimmten die Ideen Fritz Wicherts in jenen Jahren. Es existierte das Ideal einer neuen Gesellschaft, die Einheit der Menschheit und die Überwindung individualistischer Tendenzen. Die Vorstellung einer "Zeitwende" wurde vielerorts diskutiert und fand schließlich einen nachhaltigen Niederschlag in den Publikationen und Zeitschriften jener Zeit.

"Zum ersten Mal", so Fritz Wiehert, "beginnt auch in unserem Bewußtsein die Weltkugel als Einheit vor anderen Einheiten hervorzutreten". Und als Fazit wagt Wiehert schließlich auszusprechen: "Hier gilt es, einen idealistischen Gesamtwillen zu entfesseln, der mehr vermag als die Summe der einzelnen: Kampf aller für alle."

Einige Zeit zuvor, im Jahr 1905, bekannten sich vier Architekturstudenten, unter ihnen Ernst-Ludwig Kirchner in Dresden in ihrem Programm der neuen Künstlervereinigung "Brücke": "Mit dem Glauben an Entwicklung aus einer Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen, und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangemessenen "älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt."

In Sprache und Inhalt dieses für den Geist zum Beginn unseres Jahrhunderts so wichtigen Manifestes können wir heute rückblickend den Nährboden für die Gedankenwelt nach dem 1. Weltkrieg entdecken. Ist auch der pathetische Zukunftsglauben im Angesicht der Kriegsschrecken aus vielen Köpfen gewichen, so blieb dennoch jene Auseinandersetzung und Diskussion über die Notwendigkeit von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Notwendigkeit.

Man kann sicherlich ohne Übertreibung feststellen, daß die Stadt Frankfurt am Main mit der von ihr finanzierten Kunstschule - der ehemaligen Stä-delschule, deren traditionsreicher Name erst später wieder aufgenommen wurde - in dieser Auseinandersetzung auf der Höhe der Zeit war. Namen wie Fritz Wiehert, Max Beckmann, Willi Baumeister und Ernst May, der mit der Zeitschrift "Das neue Frankfurt" ein bis heute beeindruckendes Sprachrohr für den geistigen Aufbruch der Zeit schuf, waren ihre Träger und Vermittler.

Als Friedrich Wilhelm Meyer nach seiner Zeit bei Vincenz Cissarz 1 928 in die Klasse von Max Beckmann kommt, beginnt für ihn eine Begegnung, die nachhaltigen Einfluß auf sein gesamtes Werk haben sollte. Dieser Einfluß Beckmanns auf den jungen Kollegen ist dabei seither ausschließlich in formaler Hinsicht beobachtet worden.

Die Wiederentdeckung des eingangs zitierten Manuskripts zeigt darüber hinaus aber ebenso deutlich, wie intensiv sich der junge Künstler mit der Weltsicht und dem geistigen Horizont seines Lehrers auseinandersetzte. Ein Jahr vor Meyers Wechsel in die Klasse des bereits hochgeschätzten Meisters veröffentlicht dieser in der "Europäischen Revue" seinen Text "Der Künstler im Staat".

Dort schreibt er: "Der Künstler im neuen Sinn der Zeit ist der bewußte Former der transzendenten Idee. Er ist gleichzeitig Former und Gefäß. ..., der Künstler im neuen Sinn ist der eigentliche Schöpfer der Welt, die vor ihm nicht existierte. ... Das Gesetz und die vollkommene Erreichung des Gleichgewichts ist das Ziel der Menschheit. ... Ich betrachte den Abschnitt der Menschheit, in dem wir augenblicklich leben, als das Übergangszeitalter des Jünglings zum Mann. Wir fangen an, erwachsen zu werden ...".

Neben der überraschenden Parallele in der Wahl der beiden Aufsatztitel, treten hier in aller Deutlichkeit Übereinstimmungen im Denken der beiden Künstler auf. Friedrich Wilhelm Meyer war in dieser Beziehung sicherlich in erster Linie der Nehmende. Die Radikalität, mit der Beckmann seine, d. h. des Künstlers Beziehung zur Gesellschaft entwickelt, war Meyer fremd. Einen Satz wie "Denn wir sind Gott. Byjove - noch ein recht unzulänglicher und armseliger Gott - aber immerhin Gott"11 würden wir bei Meyer vergeblich suchen. Diese Form von individualistischer Überhöhung war ihm fremd und entsprach nicht seiner Persönlichkeit. Aber die schöpferische Kraft, getrieben von einer inneren Notwendigkeit, die in den Dienst der neuen Gesellschaft gestellt wird, sind Reflexionen der Gedankenwelt Max Beckmanns.

Dies mußte sich auch in der formalen Entwicklung der jungen Künstler der Beckmann-Klasse niederschlagen. Und so verstehen wir den Rezensenten, der 1928 anläßlich einer Ausstellung von Städelschülern schreibt: "Beckmann ist ein starker Magnet, der keine Eigenindividualität in seiner Nähe aufkommen läßt und so eine Schar von Beckmännern heranzieht, die ihren Meister in keinem Zuge verleugnen."

Beckmanns große Persönlichkeit, seine starke malerische Kraft zogen die Maler seiner Klasse in den Bann.13 Ein Blick auf das Frühwerk Friedrich Wilhelm Meyers belegt dies und zeigt ein weiteres Mal nicht nur Beckmanns formalen sondern darüber hinaus auch seinen geistigen Einfluß. In dem Bild "Masken mit Selbstbildnis" von Friedrich Wilhelm Meyer aus dem Jahr 1935 werden wir mit dem gleichen, hermetisch abgeschlossenen Bildraum konfrontiert, wie er uns aus zahllosen Bildern Beckmanns seit 1915 bekannt ist. Auf dem Bild herrscht Gedränge. Die notwendigen Requisiten und Versatzstücke sind eng um die Personen gruppiert und beschließen das Bild zu den Seiten. Kein Ausblick, kein geöffnetes Fenster, alles ist verstellt, in sich verwoben und dem Betrachter unmittelbar entgegengestellt.

Meyer komponiert einen in sich abgeschlossenen Raum ohne Tiefenerstreckung. Dargestellt sind neben dem Künstler Frau Aenne Röser, die Meyer drei Jahre später heiraten wird. Aber die beiden Personen treten in dem Bild doppelt auf, jeweils in unterschiedlichen Kostümen und Rollen.
Der Künstler gibt sich einmal als Schauspieler, als Varietekünstler, der mit einer Pfeife im Mund und einem trompetenartigen Instrument aus dem Bild in Richtung des Betrachters blickt. Seine Partnerin ist entsprechend als Varietekünstlerin gekleidet und gerade dabei ihre Maske abzunehmen. Wir befinden uns auf einem Maskenball.

Ein zweites Mal wird nun das gleiche Paar noch einmal in das Bild gebracht, jetzt jedoch losgelöst von dem konkreten Ereignis. Das Paar präsentiert sich in bürgerlicher Kleidung. Der Mann im schwarzen Anzug mit Fliege und seine Partnerin mit bekränztem Haar und angelegtem Schmuck.

Formal zeigt Friedrich Wilhelm Meyer, was er bei Max Beckmann gelernt hat. Die Verwendung der Farbe, die auf grelle, leuchtende Töne verzichtet und jene in sich abgeschlossene Bildwelt, die losgelöst von der Wirklichkeit nur den eigenen Bildgesetzen zu gehorchen hat. Wir denken etwa an Beckmanns "Variete" oder "Selbstbildnis als Clown", beide aus dem Jahr 1921.

Wir erinnern uns aber auch an das Selbstbildnis im Smoking von 1927, in dem Beckmann in unmißverständlicher Selbstdarstellung seine kurz zuvor entstandene und bereits zitierte Schrift "Der Künstler im Staat" bildnerisch umsetzt. "Die neuen Priester dieses neuen Kulturzentrums", so Beckmann dort, "haben im schwarzen Anzug oder bei festlichen Zeremonien im Frack zu erscheinen".

Nun lag Meyer eine solche Überhöhung des Künstler fern. Der schwarze Anzug wird für ihn nicht zum Symbol für den Übermenschen, den Gottwerdenden Künstler. Auf einer anderen Ebene jedoch erleben wir auch in Meyers "Masken mit Selbstbildnis" eine visuelle Umsetzung seiner Schrift von der Stellung des Künstlers in der modernen Gesellschaft. Meyer verteidigt dort die Verwurzelung des Künstlers im Bürgertum und wehrt sich gegen ein Zerbrechen "der bürgerlichen Ruhe und Wohlanständigkeit" durch die moderne Kunst und Wissenschaft. "Die Opferbereitschaft und der Verzicht auf eigene materielle und existenzielle Sicherheit der Suchenden waren es, die die Menschheit voranbrachten und ihr die Sicherheit der weiteren Existenz verschafften", so Meyer. Der Künstler steht im Dienste der Gesellschaft, er erduldet Opferbereitschaft und Verzicht, steht aber nicht für Revolution und Ungläubigkeit. Die Bildinterpretation verdeutlicht, auf welche Weise Max Beckmann in Friedrich Wilhelm Meyer einen Gedankengrund legte, den dieser in eine eigene Ideenwelt wandelte. Das Bild, die zweidimensionale Fläche der Leinwand wird dabei, auch hier wirkt der große Lehrer nach, zum Sinnbild dieser Ideenwelt und somit zum Spiegel der eigenen Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit.

Ebenso wie für Beckmann wird auch für Friedrich Wilhelm Meyer die Malerei zu einer inneren Notwendigkeit. Seine Bilder werden zu einem Spiegel der eigenen Lebensbewältigung, Spiegel einer existenziellen Suche nach Wahrheit und Wirklichkeit.

In dieser inneren Beziehung zu seinem Lehrer verbleibt Meyer auch, nachdem er sich künstlerisch von ihm zu lösen begann. Der Weg dorthin war geprägt von dem Wegzug aus Frankfurt am Main und den Konsequenzen aus der politischen Situation in Deutschland nach 1933. Sie bedeutete für Meyer das Berufsverbot. Auch seine Bilder brannten auf dem Römerberg und auch für ihn kam es schließlich 1940 zu einer "Abfahrt". Mit "Menschen am Strand" aus dem Jahr 1 942 gibt uns Meyer ein Bild seiner Welt zu dieser Zeit und auch hier werden wir ein Bild Beckmanns mitzusehen haben: Departure, das erste Triptychon aus den schicksalhaften Jahren 1932/33. Hier wie dort stehen Menschen vor einer neuen Zukunft, im Rücken die Vergangenheit, vor sich die Ungewißheit des Kommenden.

Für Friedrich Wilhelm Meyer und seine Frau bedeutete dies den Abschied aus Frankfurt, das Verlassen vieler Freunde und Beziehungen und der Neubeginn im Schwarzwald, in der Provinz, fern ab von den guten Arbeitsbedingungen der Stadt. Der Schwarzwald wird für Meyer und seine Frau Aenne bis 1946 zum Zufluchtsort. Die Malutensilien werden spärlich, die Verdienstmöglichkeit für ihn ausgeschlossen. Hinzu kommt die erdrückende Unfreiheit, sowohl in praktischer wie auch in geistiger Hinsicht.

"Freiheit ist doch wohl", so Meyer, "die Voraussetzung für die Möglichkeit zum schöpferischen Gestalten, besonders zum schöpferischen Sichselbst gestalten". Dieser Freiheit war Meyer, zwar nicht existenziell, so doch in ihrer geistigen Dimension beraubt.

Raimer Jochims, Künstler und Lehrer an der Städelschule schrieb einmal: "Künstlerische Arbeit braucht Wachstum, jahrelang, ehe Früchte geerntet werden können." Wachstum braucht Zeit; diese Zeit war Friedrich Wilhelm Meyer nicht vergönnt. Nach seiner Ausbildung hatte er kaum Gelegenheit, wirklich eigenes künstlerisches Profil zu entwickeln. Die politische Situation setzte eine Zäsur, nicht nur in seinem Leben. Als die Zeit für ihn gekommen war, die Früchte aus seiner Lehre heranzubilden und schließlich zu ernten, wurde er mit Berufsverbot belegt. Und dennoch, dies zeigen die Bilder aus dem Schwarzwald deutlich, bleibt Meyer seiner künstlerischen Identität treu. Der Rückzug in das Land-schaftsmotiv bedeutet keineswegs eine Aufgabe seiner künstlerischen Überzeugung.

In einigen politischen Bildern aus dem Schwarzwald - noch einmal große Kompositionen im Geiste Beckmanns17 - versuchte sich Meyer auch mit den politischen Ereignissen dieser Jahre auseinanderzusetzen. "Hitlers Europazirkus" (1942) oder "Hitlers SS" (1943), sind die beiden großen politischen Kompositionen jener Zeit.

Mit dem Rückzug nach Frankfurt am Main im Jahr 1946 beginnt auch Meyers zunehmende künstlerische Neuorientierung. In den Bildern der Nachkriegszeit zeigt sich, wie sehr Meyer nun neuen Entwicklungen und Anregungen ausgesetzt war. Der Neubeginn in Frankfurt, der ihm nicht wie anderen Beckmann-Schülern Verdienstmöglichkeiten und Ausstellungen ermöglichte, wird ganz wesentlich von einer neuen formalen Gestaltung und Farbigkeit in seinen Bildern begleitet. Die großen Themen sind zwar geblieben, der Anspruch an das Bild als ein Spiegel der eigenen Existenz besteht für den Künstler weiter, aber die Formen werden freier, gelöster und lebendiger. Die hermetisch abgeschlossenen Bildräume öffnen sich. Die Motive sind meist durch ihre Umrißlinie definiert und stehen als flächige Formen gegen-und zueinander. Im Spiel aus Positiv- und Negativfläche entstehen abstrakte Formgebilde, ohne daß jedoch der Bezug zum Abbild verloren geht. Allgemein sind hier Einflüsse von Kunstströmungen der 50er festzustellen.
nhaltlich beziehen sich die dargestellten Themen stets auf die reiche Palette menschlichen Verhaltens. Dabei sind die Figuren meist entindividualisiert und definieren sich aus ihrer Bewegung und Gestik.

Beim Durchsehen der Themen kommt einem der Satz von Henri Matisse von 1908 in den Sinn: "Die Rolle des Künstlers wie die des Wissenschaftlers beruht darauf, gängige Wahrheiten zu erfassen, die man ihm oft wiederholt hat, aber die für ihn eine neue Bedeutung erhalten ,..".

In den Bildern Meyers werden wir mit großen und kleinen Themen konfrontiert. Durch sie gelingt es uns, bereits oft wahrgenommene Ereignisse und menschliche Verhaltensweisen zu realisieren, und sie in unser Bewußtsein zu bringen.

"Die Menschen meiner Bilder", so schrieb Meyer einmal, "sind einsam und sie wissen um ihre Einsamkeit. Aber sie verzweifeln nicht daran, denn sie wissen, daß die konstruktive Gesetzmäßigkeit des Raumes aus Farben und Linien, sie diesem Raum verhaftet, wirklich macht und sie dadurch alle miteinander verbindet als Truppe von Individuen."

Noch einmal begegnen wir in den sechziger Jahren politisch motivierten Zeichnungen und Gemälden. In "Auschwitz", entstanden ein Jahr vor Meyers Tod, 1967, konfrontiert uns der Künstler mit den Schrecken nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. Der Lagerführer steht zwischen den Gefolterten, zwischen den Opfern. Seine Augen verheißen Haß und Brutalität und die Entscheidung zwischen sofortigem Tod oder langsamen Dahinsterben im Arbeitsdienst markiert seine Macht; eine Macht, mit der er auf dem Boden des Unheils steht.

Aber Meyer verstand das Aufgreifen dieses Themenkreises keineswegs allein als ein historisches Zurückgreifen. Für ihn war das Thema von Krieg und Gewalt, von politischer Anarchie nicht allein ein Thema der Geschichte. Aus der für ihn leibhaftig gewordenen Erfahrung empfand er eine Notwendigkeit der Mahnung in der Gegenwart. Mit seiner Serie von Zeichnungen, betitelt mit Deutsche Typen, hält er seinen Mitbürgern den Spiegel vor und weiß sich allein seinen Erfahrungen verpflichtet. In der kleinen Zeichnung "NPD marschiert"20 wird das Hakenkreuz zu einem, im Geschlechtsteil eingehängten Potenzsymbol.

Jede Form von diktatorischer Macht war Meyer verhaßt, und so ist es auch immer wieder das kommunistische Zeichen von Hammer und Sichel, das in seinen Zeichnungen die entstandene Teilung der Welt in Ost und West und das Aufkommen des "Kalten Krieges" reflektiert.

Es ist vor allem das Medium der Zeichnung, in dem Meyer diese Themen verarbeitete. Der Zeichenstift verhalf ihm dazu, seine Gedanken spontan und unmittelbar umzusetzen, und so sind es für uns heute nicht zuletzt die Zeichnungen - zum Teil handelt es sich um sehr kleine und unscheinbare Blätter - die uns das künstlerische Selbstverständnis von Friedrich Wilhelm Meyer näherbringen.

Neben den politischen Bildern war ein weiteres großes Thema jener letzten Lebensjahre aber auch die Begegnung von Menschen, ihre Gespräche, Diskussionen, der Tanz und die Freude. Hier entfaltet Meyer noch einmal in der Malerei einen ganz eigenständigen Themenkreis. Die Titel wie "Zuschauer", "Begegnung mit der Maske" oder "Diskussion der Ordnungsprinzipien" helfen uns die beschriebenen Themen im Bild zu suchen. Ein letztes Verständnis aber ist oftmals schwierig. Meyer reflektiert in diesen Bildern zwischenmenschliche Erfahrungen und persönliche Beziehungen, ohne daß wir im Letzten den Schlüssel für das Bild in die Hand bekommen.

Formales wie inhaltliches Anliegen zeigt sich im Werk von Friedrich Wilhelm Meyer völlig gleichberechtigt. Der Bildraum wird auch in den späten Bildern zu einem konstruktiven Gerüst, zu einem Sinnbild für die Beziehung zwischen den Menschen; noch einmal begegnet uns im Werk Meyers der ehemalige Lehrer Max Beckmann.

Und auch die Vorliebe für das Stilleben geht auf die bereits beschriebene Beziehung zu seinem Lehrer zurück. In seiner Anordnung von Stühlen, Tischen, Kürbissen und anderen Requisiten, oftmals auch in Verbindung mit einem Selbstbildnis, müssen wir Meyers Bemühen verstehen, den Bildraum zu einem Raum der eigenen Selbstreflektionen zu machen. In "Stilleben mit Selbstbildnis" von 1953 erfahren wir den Künstler inmitten eines Sammelsuriums von Gegenständen. Die Frau im Hintergrund wendet sich ab, alles ist verschachtelt, unverrückbar, undurchdringlich. Allein die brennende Kerze verheißt hier Hoffnung.

In jenen Jahren bringt Friedrich Wilhelm Meyer ein neues formales Element in seine Malerei ein. Er umzieht seine Figuren mit einem imaginären Raum, eine Art Gedankenraum. In dieser Zone sind sie frei, dieser Raum bedeutet für sie Schutz und Sicherheit und grenzt sie von ihrer Umwelt ab. Formal ist hier auf eine Parallele zum Spätwerk Ernst-Ludwig Kirchners hinzuweisen, ohne daß sich im schriftlichen Nachlaß Meyers Hinweise hierauf finden. Auch Kirchners Figuren aus den 30er Jahren zeigen jene flächenhafte Ummantelung der Figuren. Aber für Meyer bedeutete ein solches Motiv niemals ein rein formales Ereignis. Es ist stets sein Anliegen, den künstlerischen wie inhaltlichen Anspruch gleichermaßen zu entfalten.

Malerei bedeutete für Friedrich Wilhelm Meyer eine permanente Auseinandersetzung mit sich selbst, seiner eigenen Existenz und der Bedingungen für seine Stellung innerhalb der Gesellschaft. Die künstlerische Betätigung verhalf ihm zur Bewältigung seiner eigenen Existenz und gleichzeitig war sie ihm Mittel zur öffentlichen Anklage. Sie resultiert aus einer zutiefst empfundenen inneren Notwendigkeit heraus.

Diese Notwendigkeit bedeutete für Meyer die Quelle seines Schaffens. Daß damit die Quelle für jegliches freies, künstlerisches Schaffen beschrieben wird, müssen wir uns immer wieder vor Augen führen.

"Das Malen", so schrieb Wassily Kandinsky für die Zeitschrift "Sturm" 1913 einmal, "ist ein donnernder Zusammenstoß verschiedener Welten, die in und aus dem Kampf miteinander die neue Welt zu schaffen bestimmt sind. ... Werkschöpfung ist Weltschöpfung. ... Das vermeintlich Sichausdrücken-wollen des Objektiven ist die Kraft, die hier als innere Notwendigkeit bezeichnet wird."

"Werkschöpfung ist Weltschöpfung", dieser Anspruch gilt auch im Angesicht von Friedrich Wilhelm Meyer und seinem Werk.

Diesem Anspruch ist er bis in sein Spätwerk hinein konsequent treu geblieben.